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Keine Opferentschädigung, wenn die wesentliche Ursache für eine aggressive Reaktion vom Opfer selbst gesetzt ist.

Datum: 10.10.2022

Kurzbeschreibung: 

Die Gewährung von Opferentschädigung ist wegen Unbilligkeit ausgeschlossen, wenn die wesentliche Ursache für eine aggressive Reaktion vom Opfer selbst gesetzt worden ist. Für einen rechtswidrigen tätlichen Angriff bedarf es einer physischen Einwirkung auf das Opfer.
 
Urteil vom 15.09.2022, Aktenzeichen L 6 VG 1148/22

Die im August 1961 geborene, schwerbehinderte Klägerin K beantragte im Mai 2019 beim Land Baden-Württemberg die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Sie machte geltend, seit 2008 mit ihrem, im April 1952 geborenen Ehemann E verheiratet und bereits seit ihrem Einzug August 1998 psychischen Stress mit ihm zu haben. Im Januar 2017 sei die Situation zu Hause völlig eskaliert. Sie habe E an diesem Tag wieder damit konfrontiert, dass er psychisch sehr krank sei. Daraufhin sei er aggressiv und wütend geworden, habe sie angeschrien, dass er gesund sei, und sie beschimpft. E habe sie dann dreimal umgestoßen, wodurch sie glücklicherweise nicht verletzt worden sei. Neben diesem körperlichen Angriff habe sie ein 20jähriges Martyrium durch ihren Ehemann erlebt. Dieses sei gekennzeichnet gewesen durch Erniedrigungen, Beschimpfungen und Aggressivität. Der Angriff vom Januar 2017 sei der Gipfel der erlebten Gewalt durch ihren Ehemann gewesen. Kurz darauf habe sie fluchtartig die Wohnung verlassen und sei seitdem nicht mehr dorthin zurückgekehrt. Seit August 2017 sei sie krankgeschrieben.

K erstattete daraufhin Strafanzeige gegen E, welcher bei der Staatsanwaltschaft angab, bereits im Sommer 2016 seiner Ehefrau mitgeteilt zu haben, dass er sich von ihr trennen wolle. Im Dezember 2016 habe er sie gebeten, sich eine eigene Wohnung zu suchen und aus seinem Haus auszuziehen. K habe aber sein Schlafzimmer als Rückzugsraum im Januar 2017 nicht akzeptiert, sondern mit ihm diskutieren wollen, ihn auf sein Bett geschubst und sein Zimmer auch auf sein Bitten und weitere Aufforderungen hin nicht verlassen. Um sich gegen die weiteren Attacken der K zu wehren, habe er sie vor sich hergeschoben, um sie so aus seinem Schlafzimmer zu entfernen. Hierbei sei sie hingefallen. Er habe sich lediglich gegen die Nötigung durch seine Ehefrau verteidigt.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren ein, weil sich aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten nicht feststellen lasse, wie sich der Vorfall vom Januar 2017 tatsächlich zugetragen habe. Es stehe letztlich Aussage gegen Aussage. 

Mit Bescheid vom Juni 2019 lehnte das Land hierauf gestützt die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Die hiergegen beim Sozialgericht Stuttgart erhobene Klage blieb erfolglos (Gerichtsbescheid vom März 2022). 

Der 6. Senat des Landessozialgerichts hat die Berufung der K zurückgewiesen: Schon nach dem eigenen Vorbringen der K habe sie bei dem Ereignis vom Januar 2017 keine gesundheitliche Schädigung erlitten. Daneben sei aber auch ein rechtswidriger tätlicher Angriff nicht wenigstens glaubhaft gemacht. E habe im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ausführlich und ohne Belastungstendenzen geschildert, dass es K gewesen sei, die nicht akzeptiert habe, dass er sich von ihr habe trennen und nicht mehr mit ihr habe sprechen wollen. Auch K selbst habe in ihrer Geschädigtenvernehmung angegeben, dass sie mit ihm über seine Krankheit habe reden wollen und er darauf aggressiv geworden sei. Gegen einen rechtswidrigen Angriff des E spreche auch, dass K nicht unmittelbar polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen, sondern mit der Strafanzeige mehr als zwei Wochen zugewartet habe. Soweit K darüber hinaus geltend mache, unter jahrelanger psychischer Gewalt ihres Ehemannes gelitten zu haben, handele es sich schon um keinen tätlichen Angriff im Sinne des OEG. Für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs reiche eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person ohne physische Einwirkung nicht aus. Denn nach dem gesetzgeberischen Willen sollten ausschließlich Fälle der sogenannten Gewaltkriminalität in die Entschädigung einbezogen werden, die mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen. K habe im Ermittlungsverfahren aber selbst angegeben, dass es während der Ehe nur zu verbalen Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann gekommen sei. Schließlich seien etwaige Entschädigungsansprüche der K auch wegen Unbilligkeit aufgrund ihres selbstgefährdenden Verhaltens ausgeschlossen. Denn K habe die wesentliche Ursache für die aggressive Reaktion ihres Ehemanns dadurch selbst gesetzt, dass sie ihn zu einem Gespräch über seine vermeintliche psychische Krankheit habe anhalten wollen. Da K gewusst habe, dass ihr Ehemann bereits kundgetan habe, sich von ihr zu trennen und sie zum Auszug aufgefordert hatte, habe es vor diesem Hintergrund keinen sachlichen Grund gegeben, überhaupt ein Gespräch über seine vermeintliche Erkrankung zu initiieren, und sie mit einer aggressiven Reaktion des E rechnen müssen. Abgesehen davon wäre K gehalten gewesen, sich der Situation sofort zu entziehen, als sie gemerkt habe, dass ihr Ehemann aggressiv auf ihr Ansinnen reagierte. 

Hinweis zur Rechtslage:

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) erhält, wer im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. 

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung entweder selbst verursacht hat (1. Alternative) oder wenn es aus sonstigen, insbesondere aus in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren (2. Alternative).

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